Neue Einblicke in den alten Turm

Hospental — Als Wahrzeichen schon längst bekannt, ist der mittel­alterliche Turm von Hospental 2022 öffentlich zugänglich ­gemacht worden. Zuvor haben Archäologinnen und Archäologen bei ihren Untersuchungen aufsehenerregende Erkenntnisse gewonnen.
Ausgabe
image 40 , Juni 2024
Text
Dori Tarelli
Bilder
Joe Rohrer, bildebene.ch; zVg
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Ines Winet hat ihre frühe Leidenschaft für «historische Puzzlearbeiten» zum Beruf gemacht. Sie hat in Basel Archäologie studiert und war erstmals im Zusammenhang mit Bodenarbeiten in Andermatt vor gut zehn Jahren in Uri tätig. Damals holte der Kanton jeweils externe Fachleute für Grabungen und Dokumentationen hinzu. Seit 2023 gibt es eine eigene Urner Fachstelle in der Justizdirektion, die von Ines Winet in einem Teilzeitpensum geführt wird. Was eine Archäologin tut und weshalb nebst Grab- und Dokumentationsarbeiten auch die Vermittlung eine wichtige Rolle spielt, erklärt sie am spektakulären Beispiel des frei zugänglichen Turms von Hospental.

Weshalb ist es so wichtig, dass es eine kantonale ­Fachstelle gibt, Frau Winet?

Ines Winet: Archäologie ist in der Schweiz eine Staatsaufgabe und wird mit öffentlichen Geldern finanziert. Im Zivilgesetzbuch steht, dass Altertümer jenem Kanton gehören, auf dessen Gebiet sie gefunden worden sind. Grabungen sind kantonal bewilligungspflichtig. Eine eigene Fachstelle ist ein Meilenstein – so gibt es eine optimale Verbindung zwischen den verschiedenen Involvierten wie etwa Bauherren und anderen Ämtern. Das ist wichtig, weil wir nicht einfach nach Lust und Laune zu untersuchen beginnen – sondern nur da, wo es ein Baugesuch in einem archäologischen Funderwartungsgebiet gibt oder wenn es dort direkte Indizien gibt, dass Funde vorhanden sind. Dann ist es für alle Beteiligten von Vorteil, wenn die Archäologie früh in den Bauprozess eingebunden wird. So können Zeugnisse der Vergangenheit für die Nachwelt gesichert werden, bevor sie durch Bodeneingriffe zerstört werden.

So war es auch beim Turm von Hospental?

Ines Winet: Genau. Der Turm ist ein Baudenkmal mit nationaler Bedeutung. Als die Eigentümerin – die Korporation Ursern – den Turm mit einem Treppeneinbau begehbar machen wollte, waren mit dem Baugesuch vorgängige archäologische Befundaufnahmen verbunden. Ausserdem durfte der neue Treppenturm nicht im alten Gemäuer verankert werden. Vor den Bodeneingriffen für den neuen Blitzschutz und Elektroleitungen sowie dem heutigen Zugang untersuchte ein Archäologenteam den Untergrund. Die bauarchäologischen Untersuchungen an den vier Innenwänden des Turms erfolgten später, direkt vom neuen Treppeneinbau und dem Aussichtsplateau aus.

Was macht diesen Turm für Sie so besonders?

Ines Winet: Es ist sehr selten, dass ein Bauwerk aus dem 13. Jahrhundert derart gut erhalten ist. Das dürfte unter anderem dem stetigen Wind im Urserntal zu verdanken sein, der die Gemäuer trocken gehalten hat. 1898 hatte eine grössere Sanierung stattgefunden, die wissenschaftliche Erkenntnisse ergab. 1932 entstanden erste massstabgetreue Planaufnahmen und es gab einige Grabungsfunde. Mit seiner markanten Lage war der Turm stets ein Blickfang – sein Wert aber wurde erst mit der Begehbarkeit richtig erkannt. Das Interesse für die neuen Befunde auch in der Bevölkerung zu verankern, gehörte in Hospental mit zu unseren Aufgaben. Es gibt dort nun Hinweistafeln mit spannenden Details. Auf der Website der Korporation Ursern gibt es vertiefte Informationen. Und im Talmuseum ist ein Teil der Einzelfunde zu sehen.

Welche Schätze und Erkenntnisse wurden aus dem Boden geholt?

Ines Winet: Im Sommer 2021 gab es auf drei Sondierflächen vor dem Turm und zwei weiteren im Turminnern ­Grabungen. Dabei fand man Hinweise auf Brandrodungen ab dem 7. Jahrhundert auf dem felsigen Burghügel. Zudem zeigten sich Spuren eines Vorgängerbaus des um 1277 errichteten Turms. Auch die Umfassungsmauer aus der Turmbauzeit ­konnte erstmals ganz nachgewiesen werden. Sie ist ­heute an der Oberfläche nur noch zum Teil vorhanden, da im 18. Jahrhundert Mauersteine für den Bau der Hospentaler Kirche weggetragen wurden.

Auch bei den bauarchäologischen Untersuchungen gab es Aha-Erlebnisse. Welche?

Ines Winet: Besonders ist vorab, dass noch einzelne Holzbalken aus der Bauzeit vorhanden sind. Bei ihrer Untersuchung mit der Radiokarbonmethode zeigte sich, dass der Turm rund 50 Jahre jünger ist, als zuvor angenommen. Das ist ein wichtiges Puzzleteil zur Verbindung mit den Erbauern, den Herren von Hospental, die zu dieser Zeit erstmals in Schriftquellen genannt werden. Sie hatten den viergeschossigen Bau als Wohnturm errichtet. Über den damals üblichen Hocheingang gelangte man in die zweite Etage. Sehr speziell ist, dass wir im Wohngeschoss darüber einen hölzernen Einbau mit drei Räumen nachweisen konnten. Im Westen lag die Küche mit Herd, Schüttloch und Abort, im Osten ein Aufenthaltsraum mit darüber liegender Kammer. Dieser Einblick in die mittelalterlichen Wohnformen ist einzigartig. Anhand von akribischen photogrammetrischen Aufnahmen entstand das sogenannte Raumbuch. Es ist die Faktenbasis für weitergehende Befunde und Interpretationen – und auch für die wissenschaftlichen Illustrationen von Joe Rohrer aus Luzern, welche die archäologischen Erkenntnisse anschaulich vermitteln.

Ines Winet
Kantonsarchäologin
Daniel Furrer
Regierungsrat

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